Nachhaltig ist in den letzten Jahres vieles geworden – oder zumindest „bemüht“ nachhaltig. Gut so, könnte man meinen. So steige das Verantwortungsbewusstsein, Handlungsfelder würden erarbeitet und eine nachhaltige Entwicklung für künftige Generationen eingeleitet. Dennoch tut es in den meisten Fällen genauso gut, darauf zu achten, wie seriös die Ambitionen unter dem grünen Anstrich sind, oder ob es vielleicht mehr darum geht, Produkte an den Käufer zu bringen oder das eigene Image aufzupolieren.
Triebfeder United Nations
Dabei könnte 2015 ein bedeutendes Jahr auf dem Weg zu einer (möglichen) nachhaltigen Entwicklung werden. Denn derzeit werden von der UN die Sustainable Development Goals (SDGs, nachhaltige Entwicklungsziele) ausgearbeitet. Diese sollen die Millenniums-Entwicklungsziele, die 2015 auslaufen, unter dem zentralen Aspekt der Nachhaltigkeit erweitern. Eine der Besonderheiten: Die neue Post-2015-Agenda wendet sich nicht mehr vorrangig an Entwicklungsländer, sondern an alle Länder der Welt. Initiiert wurden die SDGs auf der Rio+20-Konferenz, also einer Folgekonferenz des „Erdgipfels“ 1992 in Rio de Janeiro. Bereits damals bekannten sich 178 Staaten angesichts der großen Umweltschäden, Ressourcenverknappung und Armut auf der Welt dazu, ihren Kurs zu ändern und eine nachhaltige Entwicklung anzustreben, und unterzeichneten das Aktionsprogramm Agenda 21.
Die Wachstumsfrage
So motivierend dieser Einsatz im Rahmen der UN auch ist, gibt es seit Jahrzehnten ebenso Stimmen, die die Frage aufwerfen, ob ökologische Nachhaltigkeit in dem notwendigen Ausmaß innerhalb eines Wirtschaftssystems, das auf Wachstum ausgerichtet ist, überhaupt realisierbar ist. Ist eine absolute Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch tatsächlich möglich? Oder könnte überhaupt nur eine Post-Wachstumsgesellschaft wirklich nachhaltig sein, da der ökologische Aspekt sonst notwendigerweise zu kurz komme? Darüber scheiden sich die Geister.
Nachhaltigkeits-Definition
Komplex wird es immerhin schon bei der banalen Frage: Was ist Nachhaltigkeit eigentlich? Mal ehrlich – könnten Sie aus dem Stand darauf antworten?
„Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen“, lautet die bis heute vielzitierte Definition im Brundtland-Report „Our Common Future“ der UN von 1987. Zu beachten ist der enorme Anspruch, der hinter dieser Definition steht: Es geht nicht „nur“ darum, die Welt halbwegs intakt zu halten, sodass das Überleben künftiger Generationen dauerhaft gesichert ist, sondern auch darum, dass diese Generationen in der Wahl ihres Lebensstils nicht eingeschränkt werden. Ein gewaltiges Ziel, wenn man es in allen Konsequenzen durchdenkt...
Zuweilen wird „Nachhaltigkeit“ verkürzt gerne mit ökologischer Nachhaltigkeit gleichgesetzt, die zwar einen wesentlichen Bestandteil bildet, jedoch nur einen von mehreren Aspekten darstellt. Etwas umfassender gedacht, besteht diese – je nach Nachhaltigkeitsmodell – zumindest aber aus drei Faktoren, die einerseits eng miteinander verknüpft sind und andererseits im Gleichgewicht zueinander stehen sollten: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Letzteres umfasst Themenfelder wie Chancengleichheit, Gleichberechtigung, gerechte Verteilung von Ressourcen und Einkommen, Armutsbekämpfung, Existenzsicherung für alle Menschen, menschenwürdige Arbeits- und Lebensverhältnisse (materielle und immaterielle Grundbedürfnisse), Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Partizipation und demokratische Strukturen oder Zugang zu Bildungsmöglichkeiten.
Earth-Overshoot-Day
Dass Nachhaltigkeit viel zu wichtig ist, um Rand- oder Trendthema zu sein, das einfach nebenbei erledigt wird, veranschaulich drastisch der Earth-Overshoot-Day, jener errechnete Zeitpunkt, ab dem wir für den Rest des Jahres aus ökologischer Sicht über unsere Verhältnisse leben - also mehr Ressourcen verbrauchen als die Erde regenerieren kann, mehr Abfälle/Emissionen freisetzen als sie absorbieren kann. Im vergangenen Jahr 2014 fiel dieser bereits auf den 19. August (1987 war es noch der 19. Dezember).
Der ökologische Fußabdruck zeigt dabei auch die soziale Komponente: Würden alle Menschen so leben wie wir in Europa, bräuchten wir fast 3 erdgleiche Planeten, um unseren Lebensstil aufrecht zu erhalten, mit US-amerikanischem Lebensstil sogar fast 5. Ganz schön doof – denn die haben wir einfach nicht. Also leben wir sowohl auf Kosten künftiger Generationen als auch auf Kosten heutiger Mitmenschen in ärmeren Ländern. First come first serve. Punkt.
Nachhaltiges Wirtschaften
Um so mehr sollten Initiativen und Konzepte, die sich im heutigen Wirtschaftsleben Nachhaltigkeit ernsthaft auf die Fahnen schreiben, doppelt Anerkennung erhalten und Vorbildwirkung zeigen. Umweltmanagement, HSSE-Maßnahmen, Abfallwirtschaft, Gesundheitsschutz, Arbeitsnormen, Nachhaltiges Bauen, Umwelt-Zertifizierungen, Reduktion des Materialeinsatzes, Vermeidung umweltschädlicher Materialien, Mobilitätsmanagement, Energieeffizienz sind nur einige Schlagwörter, die zur nachhaltigen Entwicklung beitragen können.
Dennoch bleiben oft gerade die weitreichenden Entscheidungen, wie die Wahl des Produktionsstandortes oder der Zulieferer, ohne Rücksicht auf Verluste den Bedingungen des Wettbewerbs unterworfen. Ob Spielzeug, Kleidung oder Elektronik – die Produktionsbedingungen sind häufig alles andere als nachhaltig. Auch die Frage nach der Notwendigkeit von Produkten wird kaum gestellt – alles, was sich verkaufen lässt, scheint legitim. Hoffnung machen da alternative Wirtschaftskonzepte, die versuchen, die Konzentration auf den Faktor Geld zu reduzieren – wie beispielsweise die Gemeinwohlökonomie. Bei dieser bilden ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung wesentliche Werte. Gesellschaft, Unternehmer und Politik sind zur Verwirklichung aufgerufen.
Ecodesign
Auch das Produktdesign bestimmt natürlich zu einem wesentlichen Teil, wie nachhaltig ein Produkt entlang seines gesamten Lebenszyklus ist. In der Designphase werden Analysen durchgeführt und Entscheidungen getroffen, die von der Wahl des Materials über eine effiziente Verwendung desselben, Langlebigkeit, Reparaturfreundlichkeit, Energieeffizienz, Abfallvermeidung bis zur Recyclingfähigkeit reichen und auch soziale Aspekte berücksichtigen.
In den letzten Jahren haben unter anderem zwei Konzepte des Produktdesigns Aufmerksamkeit erlangt: Upcycling und Cradle-2-Cradle. Während ersteres alte, unbrauchbar gewordene Produkte, die normalerweise im Müll landen würden sowie „Abfälle“, die beim Produktionsprozess entstehen, unter dem Motto „aus alt mach neu“ wiederbelebt und damit aufgewertet, bedeutet C2C, komplett abfallfrei zu wirtschaften. Während Recycling zwar eine nochmalige Nutzung des Materials gestattet, ist dies in der Regel mit einem Qualitätsverlust verbunden, also nicht unendlich fortsetzbar. Bei C2C entsteht aus einem Teppich wieder ein qualitativ gleichwertiger Teppich, aus einer Rückenlehne wieder eine Rückenlehne. Dies ist dadurch möglich, dass es sich dabei um reine Materialien handelt, die nicht untrennbar miteinander verbunden sind. Gefährliche Stoffe, die sich beispielsweise im IT-Bereich nicht vermeiden lassen, gelangen nicht in die Umwelt, sondern bleiben in einem geschlossenen industriellen Kreislauf. Alternativ zur nochmaligen industriellen Nutzung kann C2C auch bedeuten, dass ein Produkt in einen natürlichen Kreislauf übergeht – zum Beispiel essbare Verpackungen oder kompostierbare Textilien.
End-of-Pipe bis Internet der Dinge
Dennoch – und alle Bestrebungen, wie sie oben beschrieben sind, in allen Ehren: Wenn man es leidenschaftslos betrachtet (was beim Thema Nachhaltigkeit relativ schwer fällt), so ist eigentlich erst der Anfang gemacht. Es gibt unendlich viele Beispiele, die zeigen, dass Ansätze zur Nachhaltigkeit vielfach erst im Nachhinein bedacht werden. Sogar die meisten Umweltschutzmaßnahmen sind End-of-Pipe-Technologien. Was bedeutet, es sind rein additive Umweltschutzmaßnahmen, die nicht den Produktionsprozess selbst verändern, sondern die Umweltbelastung durch nachgeschaltete Maßnahmen verringern. Oder hätten Sie etwa gedachte, dass auf den ersten Blick so nachhaltig klingende Innovationen wie 3-D-Drucker, die Transportwege deutlich verringern, nur unter ganz bestimmten Bedingungen zur Entlastung der Umwelt beitragen?
Ganz abgesehen von Entwicklungen, ohne die wir heute gar nicht mehr leben können (wollen?), wie das Internet der Dinge. Die rasante Vernetzung des Alltags wird in den kommenden Jahren zweifellos für einen enormen Anstieg des Energieverbrauchs sorgen, und damit leider auch zu enorm viel verschwendeter Energie – rund zwei Drittel des gesamten Verbrauchs. Laut IEA waren dies bereits im letzten Jahr rund 400 Terawattstunden, so viel wie der gesamte Jahresbedarf an Energie von Großbritannien und Norwegen zusammen.
Es ist also ein wirklich guter Plan, die Welt retten zu wollen. Man sollte nur nicht probieren, es zwischen seinen täglichen 148 Emails zu checken. Ein Fulltime Job wäre schon gut....